OX YTO CIN
Kapitel 1
Hände, die zuhören
Cael
Der Raum war still und warm, abgesehen vom leisen Surren des Heizstrahlers und dem kaum hörbaren Rauschen des Luftfilters. Die Wände waren in warmes Beige getaucht, gedämpftes Licht fiel auf die Massageliege, wo eine Frau mittleren Alters auf dem Bauch lag – regungslos, mit geschlossenen Augen, das Gesicht in das gepolsterte Oval gebettet.
Cael stand hinter ihr, barfuß, ruhig atmend. Seine warmen Hände bewegten sich langsam über ihren Rücken – gleichmäßig, mit Druck und Präzision.
Sie hatte von Anfang an geredet. Über ihre Arbeit. Ihre Tochter. Den Streit mit dem Partner.
Dann war sie leiser geworden. Jetzt schwieg sie.
Cael hatte nichts gesagt. Bis auf ein paar tiefe, freundliche Laute, sagte er selten etwas.
Er wusste, wie seine Stimme klang – tief, weich, beinahe warm – aber er nutzte sie kaum.
Schon sehr lange nicht mehr.
Früher hatte er gestottert. Wünsche, Bedürfnisse – Worte hatten sich in seinem Hals gestaut wie Treibholz vor einem Damm. Er hatte gelernt, damit zu leben – schweigend, beobachtend. Und irgendwann war das Stottern verschwunden. Wenn er sprach, konnte er die Seele berühren. Aber das Gefühl, nicht gehört zu werden, war geblieben.
⁂
Er fuhr mit den Daumen langsam entlang der Schulterblätter der Frau. Ihre Haut spannte sich leicht, dann löste sie sich. Ein leiser Seufzer.
»Du bist anders als alle anderen«, murmelte die Frau. »Nicht so hektisch. Nicht so… geschwätzig.«
Er schwieg.
»Ich glaub, ich komm nur noch wegen dir. Dabei wollt ich eigentlich zu einer Frau. Aber irgendwie… deine warmen Hände. Fühlen sich so gut an.«
Cael nickte kaum sichtbar.
Dann wechselte er die Seite.
Sein Blick war ruhig, fast leer.
Doch in seinem Inneren arbeitete es.
Der Umzugstermin stand. Eine andere Stadt, ein anderes Viertel.
Das Massagezimmer hier – sein eigenes, über dem alten Blumenladen – war nur noch für zwei Wochen gebucht.
Dann war Schluss.
Ein Neuanfang. Vielleicht.
Oder nur ein Ortswechsel.
Sie war gegangen.
Ela.
Nicht wütend. Nicht mit Geschrei.
Einfach... gegangen.
»Ich liebe dich, Cael. Aber ich kann nicht der einzige Mensch sein, der redet.«
So hatte sie es gesagt.
Ohne Drama.
Nur mit müden Augen.
Er hatte geschwiegen. Wie immer.
Weil alles, was er sagen wollte, zu groß war, um durch den Hals zu passen.
⁂
Seine Hände glitten nun bis zur Lendenwirbelsäule. Sanft, tief, routiniert.
Früher, als er noch bei Ela schlief, hatte sie manchmal seine Hände genommen – einfach so – und sie in ihre gelegt. Still.
Dann hatte sie seine Stirn geküsst.
Auf Zehenspitzen
»Ich sehe dich«, hatte sie gesagt.
»Ich höre dich.«
Er hatte damals fast geglaubt, es könnte reichen. Die Berührung. Hand in Hand.
Aber es hatte nicht gereicht.
Nicht für sie.
⁂
Die Frau auf der Liege bewegte sich leicht, räusperte sich. »Ich glaub, ich bin weggedöst.«
Cael legte sanft ein Handtuch über ihren Rücken.
Sein Blick glitt zur kleinen Sanduhr auf dem Regal. Die Zeit war um.
»Ich... danke dir«, sagte sie. »Wirklich. Es war schön.«
Er nickte.
Reichte ihr wortlos den Bademantel, während sie aufstand.
Dann verließ er den Raum, ließ ihr Privatsphäre.
Im kleinen Nebenraum wusch er sich die Hände.
Er roch die Salbe an seinen Fingern – Lavendel und Zitrus.
Ein Duft, der ihm fremd blieb.
Er sah auf den Flyer, der auf dem Tisch lag:
Oxytocin – Host gesucht. Ruhig. Diskret. Körperbewusst.
Er hatte die Anzeige gespeichert. Nicht beworben. Noch nicht.
Aber der Gedanke wuchs.
Ein Neuanfang in einer anderen Stadt.
Nicht zu reden.
Vielleicht war das der Ort, an dem er endlich seine Bestimmung, seinen Frieden finden würde.
Wo Menschen nicht redeten, sondern fühlten.
Und vielleicht war das genug.