Der Bozen-Krimi: Vergeltung
Das Wiedersehen traf Sonja so heftig wie der Blitz eines Bozner Sommergewitters. Sie hatte gerade die fertige Pressemitteilung ausgedruckt, als ihre Kollegen Peter und Jonas Kerschbaumer das Büro betraten.
Sonja drehte sich zu ihnen um und glaubte ihren eigenen Augen nicht: Der Mann, den sie im Schlepptau hatten, war ihr bestens bekannt. „Er hat sich am Tatort rumgetrieben, und als ich ihn ansprechen wollte, ist er abgehauen“, erklärte Jonas und ließ erst jetzt den Arm des Mannes los. „Und er kann sich nicht ausweisen“, fügte Peter Kerschbaumer hinzu.
Sonja erwachte aus ihrer Erstarrung, das konnte doch nicht sein. Sie fühlte sich zugleich verwirrt und erfreut. Und auch ein wenig verärgert, warum hatte er ihr denn nichts gesagt? „Hallo, Mike“, flüsterte sie.
In einem ebenso leisen, vertrauten Ton begrüßte er sie. Seine sanfte, warme Stimme erzeugte sofort die altbekannte Gänsehaut. Sie musste sich zusammenreißen und für Klarheit im Kommissariat sorgen – oder zumindest in ihrem eigenen Büro.
„Darf ich euch Mike … äh, Michael Gerber vorstellen? Er ist ein Kollege aus Frankfurt.“ Ihn als Kollegen zu bezeichnen, widerstrebte Sonja. Mike war in ihrer Frankfurter Zeit sehr viel mehr gewesen. Dann deutete sie auf Peter und Jonas Kerschbaumer und stellte sie Mike vor. Sie konnte deutlich sehen, wie wütend Jonas über dessen Verhalten war. Seine blauen Augen waren dunkel geworden. Auch Peter war verärgert, aber im Gegensatz zu seinem Sohn bewahrte er Ruhe.
„Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie Polizist sind? Ermitteln Sie hier?“, fragte Jonas forsch. „Nein“, antwortete Mike knapp. Wie immer ließ er sich alles aus der Nase ziehen. „Was hatten Sie dann am Tatort zu suchen?“, hakte Peter Kerschbaumer nach. Mike ließ sich von ihnen nicht aus der Ruhe bringen. Frech stellte er die Gegenfrage, ob sie beide denn nicht auch stehen geblieben wären, um den Kollegen bei der Arbeit zuzuschauen. „Kann sein“, antwortete Jonas, „aber ich würde sicher nicht abhauen, wenn mich einer von denen ansprechen will.“
Sonja spürte, dass sie die Situation schnellstens schlichten musste, sonst würde diese Zankerei nie ein Ende finden. Außerdem hatten sie einen Fall zu lösen. Sie wies ihre Kollegen an, schon mal ins Krankenhaus zu fahren und dort die Zeugen zu befragen.